Der direkte Hautkontakt bzw. das unterstützte Bonding zwischen Mutter und Kind mit der Känguru-Methode im Kreißsaal wurde erstmals in Bogotá, Kolumbien, als wegweisendes Konzept eingesetzt und danach weltweit übernommen. Inzwischen hat sich diese einst neuartige Technik seit Anfang der 1980er Jahre weiterentwickelt. Wir wissen heute, dass der kontinuierliche Brust-zu-Brust- und Haut-zu-Haut-Kontakt nicht nur eine praktikable Alternative in ressourcenarmen Umgebungen darstellt, in denen Inkubatoren knapp sind und die Infektionsraten in die Höhe schnellen, sondern auch als Instrument zur Verbesserung klinischer Ergebnisse durch positive Auswirkungen auf Körpertemperatur, Herzfrequenz und Atemfrequenz dient [1].
Die bei einer Reihe von Parametern erzielten Verbesserungen wurden umfassend untersucht. Mit als Erstes wurden eine höhere Körpertemperatur des Säuglings innerhalb des normalen Bereichs, ein früheres erstes Stillen und eine stärkere Bindung zwischen Mutter und Kind festgestellt. Diese Vorteile haben dazu geführt, den umgehenden direkten Hautkontakt zwischen Mutter und Kind nach einer Reifgeburt als Bonding-Methode zu übernehmen. Bei Frühchen sind die Auswirkungen des Bondings nach der Känguru-Methode jedoch noch tiefgreifender, und von den Beuteltieren, nach denen dieses Konzept benannt ist, lässt sich viel über die Pflege solcher Kinder lernen.
Wenn ein Känguru nur wenige Wochen nach der Empfängnis geboren wird, ist es nicht größer als ein Gummibärchen und ohne voll entwickelte Gliedmaßen, Augen und innere Organe. In den folgenden 6 Monaten wächst das Jungtier geschützt im Beutel seiner Mutter heran, wo es warm gehalten wird und trinken kann.
Durch die Anwendung der Känguru-Methode bei Müttern und ihren Kindern nach einer Frühgeburt und auf der neonatologischen Intensivstation ist das Umfeld für das Kind entspannter und weniger stressig, und die Eltern können durch die positive psychologische Wirkung die Eindrücke der frühen, und möglicherweise unerwarteten, Geburt besser bewältigen [2].
Bei Frühgeborenen und Säuglingen mit niedrigem Geburtsgewicht (LBW) verbessert die Känguru-Methode „die Sauerstoffsättigung, senkt den Cortisolspiegel, fördert das Verhalten vor dem Stillen, unterstützt das Wachstum und die Gehirnentwicklung und verbessert die abgegebene Milchmenge“ [3]. Eine neu veröffentlichte Studie aus Schweden zeigte die positiven Auswirkungen des direkten Hautkontakt auf die kardiorespiratorische Stabilisierung sehr unreif geborener Kinder in den ersten sechs Stunden nach der Entbindung [4] und eine aktuelle Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte, dass die Methode der Kangaroo Mother Care (KMC) einen drastischen Einfluss auf das Überleben von Frühgeborenen oder LBW-Kindern hatte, wenn kurz nach der Geburt damit begonnen wurde, und durch Senkung der Mortalität jedes Jahr bis zu 150.000 weitere Leben retten könnte [5].
In Bogotá, wo die Känguru-Methode bei der Versorgung von Neugeborenen erstmals angewendet wurde, reagierten die Ärzte damit ursprünglich auf die Inkubatorknappheit und schweren Krankenhausinfektionen in ihrem Land. Ihre Arbeit ebnete den Weg für weitere Forschung und die Übernahme der Methode auf breiter Basis, doch Praxis und Akzeptanz variieren von Land zu Land.
Die Känguru-Methode ist eine der kostengünstigsten Interventionen, von der bekannt ist, dass sie Mortalität, Infektionen, die Dauer des Krankenhausaufenthalts und die Versorgungskosten bei LBW-Säuglingen senkt [6]. Während das Bogotá-Programm und andere Programme Vorteile zeigen, wenn das Baby fast ununterbrochen gestillt wird, wird in vielen anderen Ländern die Zeitspanne von nur einer Stunde direkten Hautkontakts pro Tag bereits als Sieg gefeiert.
Eine kürzere Anwendung der Känguru-Methode hat viele Faktoren Zu den Hindernissen gehören Probleme mit der Ausstattung, den Ressourcen und dem Umfeld, der Eindruck einer negativen Einstellung des Personals und mangelndes Bewusstsein für die Vorteile der Känguru-Methode [7]. Es laufen Bemühungen, die mit Bewusstsein und Einstellung verbundenen Probleme anzugehen, und Veranstaltungen wie der International Kangaroo Care Awareness Day (International Kangaroo Care Awareness Day – 15. Mai – Kangaroo Care Day) machen auf die Vorteile für Mutter und Kind aufmerksam und liefern gleichzeitig Rückversicherung für das Pflegepersonal, dass diese Methode für ihre Patienten von Vorteil ist.
Bei der Betrachtung der Frage der Ausstattung, der Ressourcen und das Umfelds ist möglicherweise eine viel umfassendere Sichtweise notwendig, um den optimalen Raum für eine beständige Anwendung der Känguru-Methode zu schaffen, und möglicherweise müssen Hersteller ihr Produktangebot noch intuitiver gestalten, um Krankenhäuser bei der Bereitstellung dieses lebenswichtigen Konzepts zu unterstützen.
Einige Spezies unternehmen unglaubliche Anstrengungen, um ihrem Nachwuchs das Überleben zu sichern, und aus dem mütterlichen Instinkt im Tierreich lassen sich viele Lehren ziehen. Ob Kinder, Eltern und das Pflegepersonal auf Neugeborenenstationen weltweit – jeder kann diesen Kampf um das Überleben nachvollziehen.
[1] Moore, Elizabeth R et al. “Early skin-to-skin contact for mothers and their healthy newborn infants.” The Cochrane database of systematic reviews vol. 5,5 CD003519. 16 May. 2012, doi:10.1002/14651858.CD003519.pub3
[2] Rotem Kahalon, et al. Mother-infant contact after birth can reduce postpartum post-traumatic stress symptoms through a reduction in birth-related fear and guilt, Journal of Psychosomatic Research, Volume 154, 2022, 110716,
[4] Linnér, A, Lode Kolz, K, Klemming, S, et al. Immediate skin-to-skin contact may have beneficial effects on the cardiorespiratory stabilisation in very preterm infants. Acta Paediatr. 2022; 00: 1– 8. doi:10.1111/apa.16371
[5] WHO Immediate KMC Study Group. “Immediate “kangaroo mother care” and survival of infants with low birth weight.” New England Journal of Medicine 384.21 (2021): 2028-2038.
[6] Chan, Grace J et al. “What is kangaroo mother care? Systematic review of the literature.” Journal of global health vol. 6,1 (2016): 010701. doi:10.7189/jogh.06.010701
[7] Seidman, Gabriel, et al. “Barriers and enablers of kangaroo mother care practice: a systematic review.” PloS one 10.5 (2015): e0125643.
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